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Der abgelehnte Van-Dusen-Fall
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Zwei Leichen im Orient-Express

"Zwei Leichen im Orient-Express" wurde 1980 geschrieben, und wie ich bei neuerlicher Lektüre feststelle, haben sowohl Professor van Dusen als auch ich sich seit jener Zeit verändert.

Damals schrieb ich acht bzw. sechs Van-Dusen-Hörspiele pro Jahr. Heute würde ich das nicht mehr fertigbringen. Ich bin natürlich älter geworden – vor allem aber fehlt der Schwung, die Begeisterung für einen neuen, interessanten Stoff. Van Dusen war erst im dritten Jahr, und ich steckte noch mitten im Ausdenken und im Ausprobieren, was sich mit der Figur und ihrer Zeit alles anfangen und anstellen ließ. Vor ein paar Jahren ist es mir übrigens ganz ähnlich mit "Cocktail für zwei" ergangen.

Van Dusen war vor 24 Jahren ganz eindeutig milder. "Gehen wir eine Kleinigkeit frühstücken", sagte er einmal zu Hatch. Später wäre das völlig unmöglich gewesen. Ich denke, spätestens seit Folge 24 war der große Amateur-Kriminologe ein für allemal festgelegt, konnte und durfte er sich nicht mehr entwickeln.

In der Van-Dusen-Saga wäre "Zwei Leichen ..." Folge 17 gewesen. Aber das sollte bekanntlich nicht sein. Meine damalige Redakteurin im RIAS, an sich dem Professor und mir sehr gewogen (erst später gab es Dauerkämpfe mit dummen oder desinteressierten FunktionärInnen), wollte aus geschmacklichen und ästhetischen Gründen nicht akzeptieren, daß das Opfer nicht nur ermordet, sondern auch verspeist wurde. Sie ging zu ihrem Chef, der auch was gegen Kannibalismus im Krimi-Hörspiel hatte, der ging zum Programmdirektor, und nach längerem Hin und Her wurde entschieden: Das Manuskript wird abgelehnt und nicht produziert. In aller Eile erdachte und schrieb ich für van Dusen ein Ersatz-Abenteuer, "Das Gefängnis des Grafen Dracula".

Es widerstrebte mir, die (wie ich fand, schöne) Geschichte brach liegen zu lassen, ganz abgesehen vom finanziellen Verlust. Daher schrieb ich das Manuskript um. Der Plot blieb, aber die Rollen von van Dusen wurden mit Sherlock Holmes und Dr. Watson besetzt, was natürlich einige Änderungen erforderte. Das Resultat mit dem neuen Titel "Das schaudererregende Abenteuer im Orient-Express" bot ich dem WDR an. Dort wurde es im Juli 1982 gesendet.

Drei Tatsachen sollte ich in diesem Zusammenhang noch erwähnen: Der WDR zahlte erfreulicherweise ein erheblich höheres Honorar, als ich vom RIAS für ein Van-Dusen-Hörspiel bekam – die Rolle des Sherlock Holmes wurde mit Klaus Herm alias Hutchinson Hatch besetzt, und der freute sich sehr, auch mal den großen Detektiv geben zu können – und ein Jahr später übernahm der RIAS, der die "Zwei Leichen ..." angeekelt von sich gewiesen hatte, die WDR-Produktion der gleichen Geschichte. So kurios geht es manchmal beim Rundfunk zu.

Die Produktion des WDR war durchaus ordentlich und anhörenswert (wer sie nicht kennt, kann sich davon selbst überzeugen: "Das schaudererregende Abenteuer ..." ist als CD-Edition erhältlich). Aber ich habe mich natürlich oft gefragt: Was hätte Rainer Clute aus dem Manuskript gemacht?

Auf jeden Fall gehörte die Geschichte, auch wenn sie es nur zu einem nichtseriellen Hörspiel gebracht hat, für mich immer in den Van-Dusen-Kanon – und darum bin ich sehr gern bereit, das Original-Manuskript jetzt, in diesem Kontext zum ersten Mal zu veröffentlichen. Viel Vergnügen damit – oder guten Appetit.

Michael Koser, Februar 2004

 



Ein Van-Dusen-Fall aus dem Jahr 1980, der vom Sender abgelehnt, also nie als Van-Dusen-Hörspiel produziert wurde. Hier wiedergegeben wird die (vom Autor erstellte) Schreibmaschinenfassung.

Ort & Zeit: Orientexpress / Bulgarien, August 1904

Chronologische Reihenfolge: zwischen #58 und #59

 


 

 
© 2004 Michael Koser, Gerd Pircher